Man spiele sie immer herunter, diese kleinen Momente – so Nate Powell – subtile Momente von Angst und Schweigen; im Geschäft oder wenn man in der U-Bahn sitzt… Es sei eben subtil gewesen und nicht der eine große, autoritäre Einschlag, was in den USA im Zuge von Trumps Machtübernahme geschah. Dennoch ein politischer und gesellschaftlicher Übergang, der festgehalten werden musste, für ihn selbst und für seine Kinder. Eine rohe und direkte Aufzeichnung von Erinnerungen und Gedanken, die nicht verloren gehen durften: „Save It for later“ – so der Titel von Powells Graphic Novel, der gleichermaßen Tagebuch und Essay ist und etwas darüber hinaus, wie der Autor gemeinsam mit dem Übersetzer und Comic-Experten Matthias Wieland zu Beginn des Gesprächs feststellt.
Es gelte, die feine Linie zu finden im Umgang mit der kommenden Generation – nicht verschweigen, nicht verharmlosen, aber auch nicht verschrecken. Erklärtes Ziel von Powells Buch ist es, die Kinder mit den nötigen Antworten auszustatten, vorbereitet zu sein, wenn ihre Fragen kommen.
In der folgenden Projektion und Lesung einiger Ausschnitte des Buches auf Deutsch durch Moderator Wieland begegnet uns der Autor selbst als Kind im Süden der USA, im Jahr 1983, „als Jim Crows Schatten noch greifbar war“, am Rücksitz des elterlichen Autos. Eine „urwüchsige, stille Furcht“ im Kind und die Frage an die Eltern: „Was ist das?“, als er zum ersten Mal in seinem Leben Mitglieder des Ku-Klux-Klan im Vorbeifahren auf einem Dorfplatz sieht. Schonungslos sind die Eltern in ihrem Urteil, aber zugleich beschwichtigend. Es seien eben ein paar Ewiggestrige, eine Handvoll Übriggebliebener.
Genau das sei eine sehr amerikanische Sache, so Powell im Gespräch: die Dinge zu glätten, abzuwiegeln. „The center will hold.“ Dass der Kern der Demokratie nicht erschüttert werden könne und dass sozialer und politischer Fortschritt letztlich unaufhaltsam sei, sind immer noch tiefsitzende Mythen. Doch die USA habe schon eine erste Runde Alt-Right erlebt. Eine zweite und erfolgreichere – wie Powell meint – baue sich gerade auf.
Die essayistischeren, großteils mit ganzseitigen schwarz-weißen Illustrationen versehenen Passagen aus der Präsentation sind zugleich Abrechnung mit der eigenen Elterngeneration und Eingeständnis des Autors, wie viel er von dem, was er als Teenager trotzig anklagte, als Vater selbst wiederholt – das die Augen verdrehende Liberalitätsgewäsch. Und die Großeltern? Die seien zwar keine Idioten gewesen und wussten, was geschieht, haben aber nichts Unternommen gegen die rassistische Gewalt im Mississippi-Delta. „Sie nahmen die Vorzüge der weißen Haut schlicht als gegeben.“
Sein Werk als Anlass für die Selbstreflexion der eigenen Eltern zu erleben, das sei überaus spannend gewesen, so Powell. Plötzlich waren diese irritiert von ihren eigenen Erinnerung an ihre Teenager-Jahre; davon, wie nahe die Gewalt in den Südstaaten damals war und wie ignorant sie dennoch nebenher lebten. Hier bezieht sich Powell nicht auf „Save It for Later“, sondern auf frühere Veröffentlichungen, auf die höchst erfolgreiche „March“-Trilogie, einer Serie von Graphic Novels über die Bürgerrechtsbewegung aus der Sicht des 2020 verstorbenen Kongressabgeordneten John Lewis, bei der er als Illustrator beteiligt war.
Der Kongressabgeordnete nahm das Genre des Graphic Novel von Anfang an sehr ernst – Lewis habe ihm damals erzählt, wie 1957, zu Beginn der Bürgerrechtsbewegung, ein Comicbuch ganz entscheidend für ihn gewesen sei: “Martin Luther King and the Montgomery Story”. Alle wesentlichen Ideen der Bürgerrechtsbewegung und des gewaltlosen Widerstands seien darin vermittelt worden. King selbst verteilte Exemplare davon – der Comic als Lehrwerk. Auch mit der „March“-Trilogie wird mittlerweile in Schulen gearbeitet, ja, es sei dort mittlerweile sogar eines der Hauptwerke zum Thema. Entscheidend sei, die ganze Komplexität des Themas auf den Tisch zu legen und das Thema Bürgerrechtsbewegung nicht auf die zum Sprichwort gewordenen „nine words“ zu reduzieren, mit denen High-Schol-Schüler:innen zumeist abgefertig werden: „Rosa Parks, Martin Luther King, I have a dream.“
Gerade jetzt, da die Neo-Faschisten – in ihren schwarzen SUV’s mit Konföderiertenflaggen, wie Powell illustriert – im Aufwind seien. Trump habe die Leute dazu ermuntert, die schlechteste Version ihrer selbst zu sein. Es gebe gewisse Charakteranteile, niedere Impulse, derer man sich ruhig schämen sollte – Trumps Leistung war, den Leuten genau diese Scham zu nehmen. Ob er denn an Trumps Rückkehr glaube, so Wielands letzte Frage. Powell wiegt den Kopf hin und her. Auch wenn es nicht Trump selbst ist, die white supremacy sei gestärkt, die Türen zur Anfechtung ordnungsgemäßer Wahlen geöffnet, so Powell. Es sei jetzt gefährlicher als vor zwei Jahren.